Netzpolitik.org ist ein journalistisches Medium, das sich für digitale Freiheitsrechte einsetzt und regelmäßig Themen wie Netzsperren, Verschlüsselung und Verbraucherschutz-Themen rund um die großen Tech-Konzerne behandelt.
Nun kam das Medium zum Schluss: "Google News verkauft Staatspropaganda als 'vertrauenswürdig'".
Was hat Netzpolitik.org untersucht?
In einer Datenrecherche stellte Netzpolitik.org ein Set mit 51 Suchbegriffen zusammen. Das Set enthält Begriffe und Namen aus dem aktuellen Politikbetrieb inklusive Schlagwörter, die gehäuft in Verschwörungserzählungen vorkommen.
Darunter Wörter wie "9-Euro-Ticket", "Corona", "Robert Habeck", "Ukraine", "Meinungsdiktatur" oder "Genderwahn":
Diese Keywords wurden anschließend in der Google-News-Suche (News-Reiter auf google.com) abgefragt und rund 5.200 Treffer der ersten zehn Ergebnisseiten dokumentiert. Die Daten der Recherche hat Netzpolitik.org in einer CSV veröffentlicht. So kommt Netzpolitik.org auf knapp 890 verschiedene Quellen.
Der Vorwurf
"Wir haben rund 5.200 Suchergebnisse von Google News ausgewertet und dabei zahlreiche eindeutig nicht vertrauenswürdige Quellen gefunden. Rechtspopulistische Blogs mit Falschmeldungen sind dort ebenso zu finden wie Websites von Parteien, Behörden und PR-Meldungen von Unternehmen. Gefunden haben wir auch mindestens sechs Fälle von Staatspropaganda, vier davon aus China. [...]"
"In den untersuchten Google-News-Ergebnissen fanden wir außerdem mindestens acht Angebote, die wiederholt und nachweislich Falschnachrichten verbreitet haben."
Ist die Kritik berechtigt?
In Summe machen die problematischen Quellen weniger als 0,3 Prozent der Treffer aus. In Relation zu den knapp 890 Quellen/Domains sind das weniger als 2 Prozent. Und das, obwohl Netzpolitik durch die Auswahl des Keyword-Sets gezielt nach Propagandaquellen gesucht hat. Für mich ein akzeptabler Schnitt.
Netzpolitik.org stört sich besonders daran, dass Google sein News-Produkt damit bewirbt, darüber "timely, trustworthy news and information" finden zu können. Es gibt also keine Masse an Falschmeldungen und Verschwörungsquellen in den News-Ergebnissen. Aber es gibt sie, obwohl Google mit Algorithmen und Menschen daran arbeitet, möglichst vertrauenswürdige Quellen zu listen – und das kritisiert Netzpolitik.org zurecht.
Sollen Aggregatoren wie Google stärker "zensieren"?
So genannte "Fake News" sind ein wesentlicher Aspekt, warum unsere Gesellschaften auseinanderdriften. Als Multiplizierer wurden Unternehmen wie Facebook und Google in der Vergangenheit für ihre Untätigkeit gescholten, Fake News zu verhindern und gleichzeitig für ihre "Zensur" kritisiert, wenn sie bestimmte Inhalte oder User von der Plattform warfen.
Im Vergleich zu Deutschland, wo beispielsweise das Leugnen des Nationalsozialismus ein Straftatbestand ist, der höher wiegen kann als die Meinungsfreiheit, greift die "Freedom of Speech" in der Google-Heimat USA viel weiter. Dass Netzpolitik.org implizit vom Tech-Giganten erwartet, die journalistische Qualitätskontrolle zu übernehmen, ist durchaus interessant.
Ich persönlich habe meine Einstellung hierzu über die Jahre verändert. In der Vergangenheit wäre mir die Forderung, dass US-Plattformen darüber entscheiden sollen, was eine gute und was eine schlechte Nachrichtenquelle in Deutschland ist, nicht über die Lippen gekommen. Das Fake-News-Problem ist in meinen Augen aber zu einem so großen gesellschaftlichen Problem geworden, dass ein Zurückziehen auf die Position: "Wir sind kein Medium, daher haben wir keine journalistische Verantwortung" zu wenig ist.
Daher ist es meiner Meinung nach richtig, wenn Google mehr und mehr versucht, E-A-T (Expertise, Authoritativeness, Trustworthiness) zu erkennen und stärker zu gewichten. Das klappt an vielen Stellen nicht gut genug, aber Google nimmt die Verantwortung durchaus ernst.
Wer sucht aktiv über Google News?
Dazu kommt: Die wenigsten Menschen konsumieren News über die Google-News-Suche oder deren App-Pendant. Dass sich bestimmte Publisher im Google-Index befinden, bedeutet nicht, dass Google sie auch (gut) rankt. Und ein relativ gutes Ranking in Google News ist nicht gleich ein gutes Ranking in der "normalen" Web-Suche.
Der meiste News-Traffic, so viel können wir aus unseren Kundenprojekten mit Publishern verraten, kommt über die Newsbox, die sich zu Nachrichtenlagen oben auf der normalen Websuche Googles befindet. Zwar hat Netzpolitik.org auch problematische Treffer auf der ersten Google-News-Seite entdeckt. Es wäre allerdings zu überprüfen, wie häufig es solche Treffer tatsächlich in die Newsbox der normalen Suche oder sogar in den Push-Kanal Google Discover schaffen.
Persönlich freue ich mich darüber, wenn Medien außerhalb der SEO-Bubble Tests und Recherchen dieser Art erstellen, ihr Vorgehen transparent machen und sogar die Daten zur Verfügung stellen. So können wir als Gesellschaft Menschen und Unternehmen zur Verantwortung ziehen und die Recherchen selbst ergänzen. Wie siehst Du das?