Zum Hauptinhalt springen
Geschäftsführender Gesellschafter

SEO-Contests. Ich habe sie nie verstanden und werde sie nie verstehen.

Weder vom Aufwand vs. Nutzen noch von den vermeintlichen Insights, die man während der Wettbewerbsphase erhält, kann man mich hinterm Monitor hervorlocken.

Viel zu sehr denke ich: „Wenn ich Google wäre, dann würde ich mir die Entwicklung von allen Teilnehmer-Sites genau anschauen und schick durchs Raster schießen". Tatsächlich verstehe ich auch nicht, warum der BVDW dort als Sponsor mitläuft. Das kann mir vielleicht der SEO-Fachbeirat mal bei Gelegenheit erklären.

Wenn ich jetzt mit einem SEO-Blog, einer komplett neuen Site oder mindestens einer Subdomain antrete, dann riskiere ich wenigstens nicht mein Hauptprojekt, mit dem ich mein täglich Brot verdiene bzw. sogar nicht mal meine, sondern die des Arbeitgebers. Auf der anderen Seite frohlocken Gewinne im Wert von 10.000 Euro. Ein SEO-Day-Ticket, diverse Toolzugänge, afs+-Streaming, Zugänge zum BVDW-Fachkräftezertifikat, Bücher und natürlich die Mitgliedschaft im Portal des Veranstalters Agenturtipp.de – tolle Preise, ehrlicherweise aber eher persönliche für die SEOs, die da mitmachen. Die werden sich sicher freuen, aber die kritische Frage ist für mich, ob das zuträglich oder gar riskant für SEO und Marke der Wettstreiter sein kann.

So wundert mich beim diesjährigen Contest Conversionzauber zum Beispiel die Teilnahme von dm.de oder bauhaus.info.

Da ich aber alt und paranoid bin, habe ich einmal ein paar Experten um Ihre Meinung dazu gebeten:

Oliver Errichiello

Flo: Lieber Oliver, vielen Dank für Deine Zeit in diesem kurzen Interview. Stell Dich doch bitte den Leserinnen und Lesern, die Dich noch nicht aus Funk, Fernsehen oder aus diversen Büchlein von Dir und Arnd kennen, vor.

Oliver: Mein Name ist Oliver Erichiello. Ich bin Professor für Markensoziologie und leite zusammen mit meinem guten Freund und Business Partner Professor Dr. Arnd Zschiesche, seines Zeichens Professor an der Westküste in Heide, das Büro für Markenentwicklung. Das schon seit 2006, also einer gefühlten Ewigkeit.

Flo: Deine Einschätzung aus Sicht eines Markenexperten interessiert mich brennend. Bin ich wirklich zu paranoid? Wann geht ein Wettbewerb für eine Marke in Ordnung und wann lässt man lieber die Finger davon?

Oliver: Den von Dir aufgebrachten Aspekt sehen wir tatsächlich sehr, sehr kritisch. Warum? Marke hat immer etwas mit Vertrauen zu tun. Was kennzeichnet Vertrauen? Vertrauen ist etwas, das ich nicht befehlen kann oder sich mal eben schnell ergibt, sondern Vertrauen entsteht in dem Moment, wo Menschen sich auf bestimmte Handlungsweisen verlassen können. Über die Zeit, also immer wieder. Dann müssen wir nicht mehr nachdenken, sondern wir lehnen uns geistig im guten Glauben zurück, dass schon alles gut werden wird und die Leistung oder das Produkt kommen genau so wie ich es erwarte.

Bei dem hier geschilderten Beispiel geht es um kurzfristige Effekte. Da geht es eigentlich im Wesentlichen nicht um "Conversionzauber", sondern das ist ein "Budenzauber".

Das ist eine typische Jahrmarkts-Denke. Welche Tricks kann ich anwenden, um möglichst schnell einen "Erfolg" zu erzielen – oder wie es in Neudeutsch heißt "zu generieren".

Das ist aber eine vollkommene Verwechslung, denn Erfolge auf der Sichtbarkeitsebene zu erzeugen ist relativ einfach. Da muss ich alles aufwenden, was mir da vor die Flinte kommt und das integriere ich dann. Das wird dann sicher auch zu einem kurzfristigen Erfolg führen, aber wenn ich eben langfristig denke – und auch so ein Algorithmus von Google denkt ja eher langfristig – dann geht es ja darum, in den für mich passenden Kontext Vertrauenswürdigkeit über die lange Zeit aufzubauen. Menschen sollen sich auf mich verlassen können und dies als bestimmte Erwartungshaltung an mich aufbauen.

Was hier passiert ist das genaue Gegenteil von Verlässlichkeit. Das ist mal eben kurz zeigen "hier bin ich", "das kann ich", "ich wende alle Tricks an". Aber, wenn ich da solche Tricks anwende, was tue ich dann mit meinen Kunden? Wende ich da dann auch solche Tricks an, um nen schnellen Euro zu erwirtschaften, oder sage ich mir lieber, dass ich langfristig eine Marke aufbauen möchte. Darum geht's!

Kai Spriestersbach

Flo: Lieber Kai, für alle, die Dich noch nicht aus diversen Buch-Veröffentlichungen, jüngst veröffentlicht mit dem Titel „Richtig Texten mit KI: ChatGPT, GPT-4, GPT-3 und Co.", oder den SEO-Bühnen dieser Welt kennen, stelle Dich doch bitte einmal vor.

Kai: Hey Flo, ja vielen Dank! Ich bin Kai Spriestersbach, Jahrgang 1982, Unternehmer und selbstständiger Berater für Marketing und Digitalisierung. Ich betreibe drei Online-Magazine und bin aktuell als Interims Co-CMO bei einem deutschen B2B SaaS-Unternehmen im Amazon-Umfeld tätig und unterstütze ein lokales Fertigungsunternehmen mit Digitalisierungs-Stau bei der Automatisierung von Prozessen. Neuerdings bin ich auch noch Sachbuchautor, wie Du schon dankenswerterweise erwähnt hast!

Flo: Sehr schön, dass Du Zeit findest, um auf meine abweisende Einstellung zu dem Thema einzugehen.

Kai: Sehr gerne. Im Gegensatz zu Dir, habe ich in der Vergangenheit mit meiner Webseite search-one.de mehrfach an den großen SEO-Contests im Vorfeld der DMEXCO teilgenommen. Ich fand die Herausforderung und den sportlichen Wettbewerb spannend und wollte zeigen, was ich kann. 2013 konnte ich sogar den SEOPhonist-Wettbewerb gewinnen und schaffte es beim damals größten Contest, dem XOVILichter-Wettbewerb, ein Jahr später in die Top 3.

Danach verlor das Ganze seinen Reiz für mich, denn die Preise stehen in keinem Verhältnis zu dem Aufwand, den man treiben muss, um einen SEO-Contest zu gewinnen. In den Jahren nach 2014 wurden die SEO-Contests dann auch immer stärker von mehr oder weniger seriösen SEO-Agenturen dominiert, die das Ganze wie ein Kundenprojekt mit massig Ressourcen angegangen sind, um Werbung für sich zu machen, oder riesige Domains mit extrem viel Vertrauen bei Google haben mit einer Unterseite dort teilgenommen.

Manchmal habe ich aus Interesse noch die Wettbewerber und Rankings als passiver Beobachter analysiert, allerdings muss ich sagen, dass Googles Algorithmen damals auch noch sehr viel einfacher waren und ich es spannend fand zu sehen, welche Rankingfaktoren bei einem vollkommen neuen, weil künstlich geschaffenen Begriff am meisten Einfluss haben. Aber es war auch immer wieder frustrierend zu sehen, dass am Ende die Backlinks den größten Einfluss hatten und Google algorithmisch wenig Wert auf Themenrelevanz oder einen Nutzen für die Besucher bei der Bewertung der Links gelegt hat.

Mittlerweile habe ich weder die Zeit, noch das Interesse an solchen Wettbewerben teilzunehmen und schaue mir die Rankings und Teilnehmer noch nicht einmal mehr an, denn mit „echten" Rankings bei realen Suchanfragen haben diese wenig gemeinsam, so dass ich daraus auch keine neuen Erkenntnisse für meine Optimierungsstrategien gewinnen könnte.

Olaf Kopp

Flo: Last not least ein Interview-Partner, dessen Agentur beim Wettbewerb mitgemacht hat und auf dem 5. Platz gelandet ist. Lieber Olaf, stell Dich doch bitte einmal kurz vor.

Olaf: Ich bin Olaf, Co-Founder, CBDO und Head of SEO bei der Agentur Aufgesang. Wir sind als Agentur aufgetreten, aber eigentlich habe ich alleine bei dem Contest mitgemacht. Wir haben also keine Agentur Ressourcen außer Websites für die Veröffentlichung der Contest-LP und zum Generieren externer Links aus eigenen Assets genutzt. Die von mir eingesetzte Arbeitszeit war Privatzeit und umfasste insgesamt ca. 4 Std.

Flo: Sehr genial, dass Du trotz eines so provokanten Aufmachers meinerseits hier Rede und Antwort stehst. Erzähl doch mal... warum war dieser Wettbewerb für Euch sinnvoll? Was habt ihr gelernt und vor allem: was sind bei Euch die Grenzen, wenn ihr sowas macht?

Olaf: Wie im OM Cafe Podcast mit Markus Hövener besprochen sind solche Contests für mich ein sportliches Event, bei dem ich völlig frei Dinge ausprobieren und kurzfristige Effekte von Maßnahmen testen kann. Wir würden so nie ein Kundenprojekt angehen, da die Maßnahmen auch mit einem hohen Risiko verbunden sind. Man bekommt dennoch ein Gefühl dafür, wie Google mit Signalen wie Content-Anpassungen, Links ... etc. umgeht und wie schnell mögliche Effekte nach der Umsetzung einsetzen.  Z.B. war es auch spannend zu sehen, wie unterschiedlich neu indexierte Inhalte in die Rankings einsteigen und welche Rolle die Autorität der Domain dabei spielt, wie häufig sich Rankings verändern ... Da Google zu den Keywords noch keine Daten gesammelt hat kann man Domain- und Landingpage spezifische Faktoren isolierter betrachten als bekannte Begriffe mit einer Historie. Zudem bringen solche Contests i.d.R. auch Backlinks und Erwähnungen über die Berichterstattung. Für mich sind die Gründe pragmatischer Art und den eingesetzten Zeitaufwand halte ich auch in Grenzen.

Vielen Dank an alle für die Einschätzungen und Kommentare. Was meinst Du dazu? Ich bin sehr gespannt auf Dein Feedback.

Geschäftsführender Gesellschafter

Das ist ein Artikel aus unserem Newsletter. Wenn Du jeden Dienstag Morgen schlauer werden möchtest, melde jetzt kostenfrei für den SEO-Newsletter an

Kurze, praxisnahe SEO-Tipps – maximal 1× pro Woche. Keine Werbung, kein Spam.

Deine Daten sind bei uns in guten Händen und werden ausschließlich für diesen Newsletter genutzt.